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Lipohypertrophien – Neue Einblicke in ein bekanntes Thema?

Geschrieben von Profil | 14.02.2020 13:11:07

Eine sehr häufige Nebenwirkung der Insulintherapie bei Patienten mit Diabetes mellitus sind Lipohypertrophien. Bei Lipohypertrophien handelt es sich um gutartige Wucherungen im Fettgewebe, die meist bereits mit dem Auge erkennbar aber auch gut mit den Händen tastbar sind. Bei einigen Patienten sind diese „Spritzstellen“ sehr beliebt für die Insulininjektion, da das Schmerzempfinden in diesen Bereichen häufig niedriger ist als in normalem, gesunden Gewebe.

Das Vorkommen von Lipohypertrophien ist weit verbreitet sowohl bei Typ 1 als auch bei insulinpflichtigem Typ 2 Diabetes und kann bei bis zu 64 % aller Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes beobachtet werden [1]. Patienten mit Typ 1 Diabetes sind weit häufiger betroffen, wie eine kürzlich erschienene Studie von Strollo et al. aus Italien zeigen konnte, in welcher bis zu 77 % aller Patienten Lipohypertrophien aufwiesen [2].

Zu den möglichen Faktoren, die eine Entwicklung von Lipohypertrophien begünstigen, gehören die Dauer der Insulinbehandlung, Häufigkeit der Wiederverwendung von Injektionsnadeln, Body Mass Index (BMI) sowie eine nicht korrekte Injektionstechnik und Rotation der Injektionsstellen. Insbesondere letzteres scheint zu den wichtigsten Faktoren zu gehören, da in Studien und Einzelfallberichten gezeigt werden konnte, dass eine wiederholte Schulung von Patienten bezüglich einer korrekten Rotation der Injektionsstellen sowie die Empfehlung Lipohypertrophien als Injektionsstelle zu vermeiden, die Glukosekontrolle deutlich verbessern konnte [3].

Bereits bei Kindern kann die Entwicklung von Lipohypertrophien beobachtet werden, trotz einer kürzeren Diabetesdauer und niedrigerem Insulinbedarf pro Tag im Vergleich zu Erwachsenen. Kinder mit Lipohypertrophien zeigen zudem häufig eine schlechtere Blutzuckerkontrolle und höhere HbA1c-Werte im Vergleich zu Kindern ohne Lipohypertrophien [4]. Die o. g. Studie konnte neben einer schlechteren Diabeteseinstellung zudem auch das vermehrte Auftreten an diabetischen Spätkomplikationen bei Patienten mit Lipohypertrophien beobachten [2].

Im klinischen Alltag ist es weithin bekannt, dass Insulingaben in Lipohypertrophien zu einer ungleichmäßigen Insulinaufnahme und somit zu einer unvorhersehbaren Insulinwirkung führen kann – einschließlich einem erhöhten Risiko für Hypoglykämien. Bis 2016 wurde dieser allgemein anerkannte Effekt in keiner systematischen Studie im Hinblick auf die Insulinaufnahme und -wirkung nach Injektion untersucht. Bei Profil wurde mit Hilfe der Glukose-Clamp Technik sowie eines Mahlzeitentests die erste Studie durchgeführt, die die Aufnahme (Pharmakokinetik, PK) und Wirkung (Pharmakodynamik, PD) von Insulin aus lipohypertrophen und normalem Fettgewebe systematisch verglichen hat [5]. In dieser Clamp-Studie konnte eine um 26 % statistisch signifikant verminderte Insulinaufnahme gezeigt werden, wenn ein Insulinbolus in eine Lipohypertrophie verabreicht wurde, im Vergleich zu einer Injektion in normales Fettgewebe. Auch die Insulinwirkung war in diesem Fall um 24 % vermindert. Darüber hinaus wurde eine deutlich variablere Insulinaufnahme aus lipohypertrophem Gewebe im Vergleich zu gesundem Gewebe beobachtet. Auch in einem anschließenden Mahlzeitentest zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden Geweben mit signifikant höheren Blutzuckerwerten nach der Mahlzeit und Insulininjektion in lipohypertrophes Gewebe. Interessanterweise gab es zwei extreme Beispiele in dieser Studie, bei denen nahezu keine Insulinaufnahme und -wirkung nach Injektion in eine Lipohypertrophie beobachtet werden konnte, weder in der Clamp-Untersuchung noch im Mahlzeitentest. Dahingegen zeigte die Insulininjektion in gesundes Geweben bei diesen beiden Patienten eine vergleichbare Insulinaufnahme und -wirkung wie bei anderen Studienteilnehmern.

Diese Ergebnisse und insbesondere die beiden Extrembeispiele machen deutlich, wie wichtig die Wahl einer geeigneten Injektionsstelle ist, um eine adäquate und vorhersehbare Insulinwirkung zu garantieren.  

Doch wie sieht es bei Insulinpumpenträgern aus? Man könnte vermuten, dass bei einer Insulininfusion über eine Insulinpumpe ähnliche Effekte zu beobachten sind. Die Arbeitsgruppe um Karlin et al. ist dieser Frage nachgegangen und hat in einer ambulanten Studie Studienteilnehmer gebeten über einen Zeitraum von 4 Wochen ihre Insulin-Infusionskatheter abwechselnd in lipohypertrophes und normales Gewebe zu setzen, jeweils über 7 Tage pro Infusionskatheter und -seite [6]. In dieser Studie konnte ein numerisch höheres Auftreten eines Katheterversagens, gemessen an aufgetretenen Hyperglykämien, die nicht adäquat durch einen Bolus korrigiert werden konnten, von 35% in Lipohypertrophien gegenüber 22 % in normalem Gewebe beobachtet werden. Jedoch war dieser Unterschied statistisch nicht signifikant. Zudem konnten höhere mittleren Blutzuckerwerte nach 3 Tagen Tragedauer des Infusionskatheters beobachtet werden, hierbei waren jedoch keine signifikanten Unterschieden zwischen den beiden Gewebetypen zu beobachten.  

Die Ergebnisse dieser Pumpenstudie scheinen sich von unserer Studie zu unterscheiden. Es könnte sein, dass eine kontinuierliche Insulininfusion im Gegensatz zur Einmalgabe von Insulin in lipohypertrophes Gewebe zu einer vorhersehbareren Insulinaufnahme im Gewebe führt. Jedoch könnten auch andere methodische Unterschiede zwischen beiden Studien die unterschiedlichen Ergebnisse erklären.

Neben der Injektion und Infusion von Insulin könnten womöglich auch andere Diabetestherapien, wie z. B. CGM Messungen, durch Lipohypertrophien beeinflusst werden. Die Verwendung von CGM Systemen nimmt rapide zu und stellt für manche Diabetiker eine Herausforderung dar adäquate Gewebebereiche sowohl für die Insulinverabreichung als auch die Einführung eines CGM Sensors zu finden. Für Patienten mit Lipohypertrophien, die diese Stellen bereits für die Insulininjektion meiden, ist es fraglich, inwiefern dies Stellen auch für ein kontinuierliches Glukosemonitoring vermieden werden sollten. Da als eine mögliche Ursache für die schlechtere Insulinaufnahme aus lipohypertrophem Gewebe eine schlechtere Blutversorgung (Vaskularisierung) vermutet wird, könnte ein verminderter Blutfluss in diesen Bereichen auch die Messgenauigkeit von CGM Systemen beeinflussen, da diese in der Gewebeflüssigkeit messen. Bis heute hat nur eine Studie den Effekt von Lipohypertrophien auf die Genauigkeit von CGM Systemen untersucht und in dieser konnten keine Unterschiede in der Genauigkeit zwischen den Gewebetypen beobachten werden [7]. Dieses Ergebnis scheint eine gute Nachricht für Patienten mit Lipohypertrophien zu sein, da es die Möglichkeit eröffnet CGM Sensoren in solch abnormale Bereiche zu setzen. Nichtsdestotrotz verwendete die Gruppe ein CGM System der ersten Generation, das Dexcom G4 System. Es bleibt abzuwarten, ob neuere CGM Generationen mit einer höheren Messgenauigkeit Unterschiede bei der Glukosemessung in Lipohypertrophien zeigen könnten, welche mit älteren System bislang nicht zu sehen waren. Zudem muss in zukünftigen Studien noch die Frage untersucht werden, welche Rolle CGM Systeme auf Grund des Einsetzens und der Tragedauer der Sensoren auf die Gewebegesundheit und Veränderungen in diesem haben. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Lipohypertrophien trotz kontroverser Datenlage weiterhin zu den Nebenwirkungen mit einem hohen Vorkommen und Relevanz bei insulinpflichtigem Diabetes gehören. Während die Vermeidung von lipohypertrophem Gewebe klar gezeigt ist für Insulininjektionen, bleibt dies weniger sicher für die Insulininfusion. Angemessene Rotationstechniken für die Insulininjektion sind empfehlenswert, um das Auftreten dieser Nebenwirkung und mögliche Effekte auf die Diabetestherapie zu reduzieren. Es sind weitere Innovationen im Bereich der Insulinverabreichung notwendig, um das Auftreten von Lipohypertrophien in Zukunft vermindern zu können.