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Glucagon bei schwerer Unterzuckerung: Nasenpulver oder Spritze?

Geschrieben von Profil | 03.08.2020 09:15:00

Warum wurde diese Studie durchgeführt?

Glucagon lässt als Gegenhormon zu Insulin den Blutzucker ansteigen – es wird daher zur Behandlung schwerer Unterzuckerungen (Hypoglykämien) bei Menschen mit Diabetes eingesetzt. Ein Nachteil der bisher verfügbaren Glucagon-Formulierungen (GlucaGen® Hypokit) ist die Anwendung als Spritze, bei der vor der Injektion das Glucagon-Pulver in einer Lösung gleichmäßig aufgelöst werden muss. Für Angehörige oder Freunde, die einem nahestehenden Menschen mit Diabetes in einer schweren Unterzuckerung schnell helfen möchten, sind die Schritte für die Zubereitung des Notfallmedikaments eine Herausforderung. Darüber hinaus haben ungeschulte Laien oft Hemmungen, Betroffenen Glucagon unter die Haut oder in den Muskel zu spritzen.

Eine Alternative könnte daher eine andere Verabreichungsart z. B. über die Nase sein. Ein von der Firma Eli Lilly, Indianapolis, IN, USA, entwickeltes Glucagon-Nasenpulver in einem entsprechenden Einzeldosisbehältnis wurde in einer klinischen Studie bei Profil Neuss und Mainz (Studienzeitraum: November 2017 bis Januar 2018) mit herkömmlichem Glucagon (GlucaGen® Hypokit, Novo Nordisk A/S, Bagsværd, Dänemark) verglichen. Dabei ging es insbesondere um die Frage, ob das Nasenpulver für die Behandlung einer Unterzuckerung ebenso effektiv ist wie die Anwendung einer Spritze mit herkömmlichem Glucagon.

Was geschah während der Studie?

Insgesamt 70 Erwachsene mit Typ 1 Diabetes (davon 43 Männer, mittleres Alter 42 Jahre, mittlere Diabetesdauer 20 Jahre, durchschnittlicher HbA1c 7,3 %) nahmen an 2 verschiedenen Dosierungstagen teil. Dazwischen lag eine sogenannte Auswaschphase von 1 bis 7 Tagen. Zunächst wurde durch eine Insulininfusion der Blutzucker (Plasmaglukose) jedes Teilnehmers in einen Zielbereich von unter 60 mg/dl gebracht. Anschließend wurde den Teilnehmern – jeweils in Seitenlage liegend – an einem Dosierungstag 3 mg Glucagon-Nasenpulver in ein Nasenloch verabreicht, am anderen Dosierungstag erhielten sie eine Injektion mit 1 mg Glucagon in den Oberarmmuskel, wobei die Reihenfolge der Behandlung nach dem Zufallsprinzip erfolgte.

Der Therapieerfolg war definiert als ein Anstieg der Plasmaglukose auf einen Wert von 70 mg/dl oder höher bzw. als ein Anstieg um mindestens 20 mg/dl vom niedrigsten Plasmaglukose-Wert innerhalb von 30 Minuten nach Glucagon-Gabe. 90 Minuten lang erfolgten engmaschige Blutzuckermessungen, darüber hinaus wurden die Glucagon-Spiegel im Blut bestimmt. Die Sicherheitswerte umfassten weitere Laborparameter, EKG, spontan berichtete therapiebedingte Nebenwirkungen, einschließlich eines Fragebogens zu Symptomen im Nasen- und Gesichtsbereich sowie Blutdruckwerte und Herzfrequenz.


Was waren die Ergebnisse der Studie?

69 der 70 Teilnehmer beendeten die Studie. Ein Teilnehmer brach die Studie wegen eines unerwünschten Ereignisses (Erbrechen) während der ersten Phase nach Behandlung mit Glucagon-Nasenpulver ab. Auswertbare Ergebnisse lagen von 66 Teilnehmern vor. Bei diesen 66 Teilnehmern (100 %) waren beide Glucagon-Verabreichungen (Nasenpulver und Spritze in den Muskel) innerhalb von 25 Minuten erfolgreich, d. h., die Plasmaglukose stieg bei allen Teilnehmern auf einen Wert von 70 mg/dl oder höher an und jeder Teilnehmer zeigte nach Glucagon-Gabe einen Plasmaglukose-Anstieg von mindestens 20 mg/dl vom tiefsten Wert. Die durchschnittliche Zeit bis zum Behandlungserfolg betrug ca. 11 Minuten für das Nasenpulver und ca. 10 Minuten für die Spritze. Damit war das Nasenpulver der Spritze nicht unterlegen.
Glucagon wurde sowohl als Nasenpulver als auch nach Injektion in den Muskel rasch vom Körper aufgenommen – die maximalen Glucagon-Spiegel waren bei beiden Verabreichungsarten nach 15 Minuten erreicht.

Während der Studie gab es insgesamt 48 therapiebedingte Nebenwirkungen unter Glucagon-Nasenpulver, 51 bei der Glucagon-Spritze – die meisten davon waren leicht und vorübergehend. Es traten keine schwerwiegenden therapiebedingten Nebenwirkungen auf. Am häufigsten kam es zu Übelkeit und Erbrechen, vergleichbar unter beiden Behandlungen. Unter der Behandlung mit Glucagon-Nasenpulver berichteten 37 % der Teilnehmer über eine laufende Nase, 39 % über eine verstopfte und 49 % über eine juckende Nase. Wässrige Augen gaben 63 % der Teilnehmer an, juckende Augen 20 % und gerötete Augen 21 % – die meisten therapiebedingten Nebenwirkungen zeigten eine milde bis mäßige Intensität und waren von kurzer Dauer.

Welche Bedeutung haben die Studienergebnisse?

Diese Studie hat gezeigt, dass die Behandlung mit einem Glucagon-Nasenpulver bei einer durch Insulin herbeigeführten Unterzuckerung bei erwachsenen Teilnehmern mit Typ 1 Diabetes ebenso wirksam und gut verträglich war wie die mit einer Glucagon-Spritze in den Oberarmmuskel. Damit stellt Glucagon-Nasenpulver eine Alternative zur bisherigen Anwendung als Injektion dar.

Das Glucagon-Nasenpulver wurde inzwischen von den Behörden zugelassen und ist auch in Deutschland verfügbar.

 

*Diese Ergebnisse wurden bereits in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht (Suico JG u. a. Diabetes Ther 2020). Wenn Sie weitere Details der Studie interessieren, so können Sie sich gerne an uns wenden.