Unser Diabetes-Blog

Geschlechterverhältnis in klinischen Studien

Geschrieben von Profil | 10.03.2021 10:45:00

Sind Frauen als Studienteilnehmerinnen unterrepräsentiert?

„Vielleicht haben Sie sich ja auch schon einmal gefragt, ob in klinischen Studien gleich viele Männer und Frauen teilnehmen müssen oder warum es möglicherweise mehr männliche Studienteilnehmer gibt?
Im Folgenden möchten wir diese interessante Fragestellung von mehreren Seiten für Sie beleuchten.“
 

Wie sind die allgemeinen gesetzlichen Rahmenbedingungen?

Die Durchführung klinischer Studien mit in der Entwicklung befindlichen und noch nicht zugelassenen Arzneimitteln unterliegt strengen gesetzlichen Vorgaben.

Die US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) fordert seit 1993 die Berücksichtigung beider Geschlechter bei klinischen Prüfungen [1] – in der EU bzw. in Deutschland ist die Ermittlung möglicher Unterschiede zwischen Frauen und Männern im Rahmen klinischer Studien seit 2001 beziehungsweise 2004 gesetzlich vorgeschrieben [2, 3]. Die Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-Verordnung – GCP-V) verlangt im Antrag auf Genehmigung einer klinischen Prüfung eine Begründung bezüglich der gewählten Geschlechterverteilung [4] .

Häufige allgemeine Einschränkungen in frühen klinischen Studienphasen bestehen darin, nur Frauen einzuschließen, die sich nach der Menopause (nach den Wechseljahren) befinden oder die chirurgisch sterilisiert sind [5, 6].

Schwangere und stillende Frauen zählen neben Kindern und Jugendlichen zu den sogenannten vulnerablen (verwundbaren) Personengruppen, für die besondere Schutzmaßnahmen gelten [5].

Bereits in der präklinischen Forschung wird der Einsatz von Tieren beiderlei Geschlechts gefordert [7].

Wie hoch ist Studienteilnahme von Frauen laut aktueller Veröffentlichungen?

Eine Übersichtsarbeit von Khan S. U. und Kollegen [8] hat die Teilnahme von Frauen sowie von älteren Personen in klinischen Studien zu Behandlungen untersucht, die die Blutfettwerte senken. 60 Studien mit einer Gesamt-Teilnehmerzahl von 485.409 wurden berücksichtigt. Die Teilnahme von Frauen lag insgesamt bei 28,5 %. Es war ein Anstieg des Studieneinschlusses von Frauen von 19,5 % in den Jahren 1990-1994 auf 33,6 % in den Jahren 2015-2018 zu verzeichnen. Häufige allgemeine Einschränkungen bestanden auch hier darin, nur chirurgisch sterilisierte oder Frauen nach der Menopause einzuschließen (28,3 %)
bzw. schwangere und stillende Frauen von einer Studienteilnahme auszuschließen
(23,3 % bzw. 16,6 %).

Frauen waren – verglichen mit ihrer Krankheitsbelastung – unterrepräsentiert in Studien mit Fettsenkern im Bereich Diabetes, Herzinsuffizienz, stabile koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom (akuter Herzinfarkt). Nur 23 klinische Studien mit 263.628 Teilnehmern berichteten über den Einschluss von älteren Teilnehmern (65 Jahre oder älter).  

Eine andere Veröffentlichung [9] untersuchte den Anteil von Frauen in 740 beendeten und in der Datenbank clinicaltrials.gov registrierten klinischen Studien im Herz-Kreislaufbereich mit 862.652 Teilnehmern, davon 38,2 % Frauen, in den Jahren 2010 bis 2017. Männer überwogen zwar noch insgesamt gesehen als Teilnehmer, aber der Frauenanteil, der nach Art der Erkrankung und Art der Studie variierte, hatte sich insbesondere bei Studien im Bereich Schlaganfall und Herzinsuffizienz/ Herzversagen verbessert.  

In zwei großen Zulassungsstudien zu aktuellen COVID-19-Impfstoffen [10,11] waren anteilmäßig fast gleich viele Frauen (49,4 % bzw. 47,3 %) vertreten.
Zu Schwangeren, Kindern und Jugendlichen liegen momentan noch keine Studiendaten vor.  

Wie ist das Männer/Frauen-Verhältnis in klinischen Prüfungen bei Profil?

Bei Profil werden überwiegend klinische Studien im Bereich Diabetes und damit verbundener Erkrankungen durchgeführt.

Bei Erstanwendung einer klinischen Prüfsubstanz am Menschen – solche Studien finden ebenfalls bei Profil statt – müssen, wie anfangs erwähnt, häufig Frauen im gebärfähigen Alter von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Dies beruht darauf, dass zu diesem Zeitpunkt meist noch keine ausreichenden längeren Tierdaten der Substanz hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die Fruchtbarkeit beziehungsweise auf menschliche Embryonen oder Feten vorliegen [6, 12]. Regularien, besonders jene, die die Sicherheit der Studienteilnehmer betreffen, setzt Profil in besonderem Maße um und prüft diese zudem hinsichtlich eigener zusätzlicher Anforderungen an Prozesse und Werte. Denn die Sicherheit und das Wohlbefinden der Studienteilnehmer ist für Profil immer das oberste Anliegen.

In der Richtlinie der EMA (Europäische Arzneimittelagentur) zur klinischen Entwicklung von Arzneimitteln zur Behandlung oder Vorbeugung eines Diabetes mellitus [13] heißt es, dass die Behandlungsgruppen in Hinblick auf Alter, Geschlecht, Körpermasse-Index, Schweregrad und Erkrankungsdauer ausgeglichen sein sollten.

Bei Profil bemühen wir uns daher stets um ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei der Rekrutierung von volljährigen gesunden Freiwilligen bzw. Teilnehmern/Teilnehmerinnen mit einem Typ 1- oder Typ 2-Diabetes für klinische Studien. Dennoch gibt es bei einigen Studien - aufgrund gesetzlicher Vorgaben oder Prüfplan-bedingt - weitere Gründe, die zu einem vermehrten Einschluss männlicher Studienteilnehmer führen können.

Dies sind beispielsweise bei Profil durchgeführte sogenannte Glukoseclamp-Studien, bei denen die Wirkprofile neuer antidiabetischer Substanzen bzw. neuer Insuline untersucht werden. Für solche Studien melden sich tatsächlich eher Männer - zudem muss man bei einem Clamp, bei dem üblicherweise wiederholt mehrere Venenverweilkanülen gelegt werden, auf gute Venenverhältnisse der Teilnehmer achten.

Auch in „Bioäquivalenz“-Studien – dies sind Studien zur Untersuchung der Gleichwertigkeit/Austauschbarkeit - mit neuen, sogenannten Biosimilar-Insulinen werden vorwiegend Männer eingeschlossen.

Ein Biosimilar (biosimilares Arzneimittel) ist ein Biologikum, das eine Version des Wirkstoffs eines im europäischen Wirtschaftsraum bereits zugelassenen Biologikums (Referenzarzneimittel, Originator) enthält. Die Ähnlichkeit zum Referenzarzneimittel in Qualität, biologischer Aktivität, Sicherheit und Wirksamkeit muss basierend auf einem umfangreichen direkten Vergleich („comparability exercise“) etabliert worden sein [14]. Biosimilar-Insuline könnten eine Option dafür sein bzw. helfen, Kosten zu senken und den Zugang zu einer Insulintherapie zu verbessern.

Die Richtlinie der EMA für Biosimilar-Insuline [15] besagt, die Studienpopulation solle - zur bestmöglichen Aufdeckung produktbezogener Unterschiede - homogen (gleichartig) und insulinempfindlich sein und könne aus normalgewichtigen gesunden Probanden oder aus Teilnehmern mit einem Typ 1 Diabetes bestehen. Darüber hinaus heißt es in der Richtlinie, dass die Insulinempfindlichkeit bei Frauen während des Menstruationszyklus schwanken könne und es unklar sei, ob dies die Studienergebnisse beeinflusse. Daher könne es besser sein, nur Männer in die Studien einzuschließen [15].

Wofür ist das Geschlechterverhältnis in klinischen Prüfungen noch relevant? 

Das Männer/Frauen-Verhältnis in klinischen Studien ist, wie anfangs kurz erwähnt, auch aus anderen Gründen von Bedeutung. So werden geschlechtsspezifische Unterschiede heute umfassend bei der Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel berücksichtigt [1, 2, 3, 4]. Es gibt zum Beispiel Medikamente beziehungsweise in der Entwicklung befindliche Arzneimittel, die nur für Männer oder nur für Frauen bestimmt sind, da die zugrundeliegenden Erkrankungen hauptsächlich Männer oder Frauen betreffen. Hierzu zählen unter anderem Brust- oder Eierstockkrebs bei Frauen oder Prostatakrebs und Hämophilie („Bluterkrankheit“) bei Männern sowie die entsprechenden Medikamente zu ihrer Behandlung [16].

Darüber hinaus möchte man aus klinischen Studiendaten auch erfahren, ob Frauen beziehungsweise Männer unterschiedlich auf ein Medikament für eine bestimmte Krankheit ansprechen, das heißt, ob es geschlechtsspezifische unterschiedliche Wirkungen oder Nebenwirkungen auf eine Substanz gibt.

Wie lautet das Fazit?

Zusammenfassend lässt sich sagen, das Thema Geschlechterverhältnis in klinischen Prüfungen umfasst diverse Gesichtspunkte. Diese sollten - auch zukünftig - bei der Planung und Durchführung von klinischen Studien Berücksichtigung finden. Unter Beachtung der Sicherheitsaspekte wäre ein weiterer Anstieg der Studienteilnahmequote von Frauen - auch in Hinblick auf eine effiziente Rekrutierung - durchaus wünschenswert.