Unser Diabetes-Blog

Die künstliche Bauchspeicheldrüse à la „do-it-yourself“

Geschrieben von Profil | 28.11.2018 12:23:00

Ein Vorreiter der künstlichen Bauchspeicheldrüse in der regulären Diabetesversorgung?

Die epidemische Ausweitung des Diabetes weltweit ist ein großes und vielschichtiges Problem. Obgleich ein breites Portfolio an Behandlungsoptionen zur Verfügung steht, erreichen viele Patientinnen und Patienten ihre Therapieziele nicht. Die Verabreichung von Insulin in der korrekten Dosierung zum richtigen Zeitpunkt ist ein Thema, das viele Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige auch heute immer noch umtreibt.

Entsprechend besteht ein hoher Bedarf an innovativen Lösungen, die sowohl die Effektivität der Diabetesbehandlung als auch die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten und die ihrer Angehörigen verbessern. Produkte und Dienstleistungen, die auf die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten und im Idealfall sogar mit ihnen gemeinsam entwickelt werden, haben ein besonders großes Potenzial die Therapietreue zu steigern. Eine Steigerung der Therapietreue hätte eine Optimierung der Behandlungsergebnisse und eine Entlastung der Gesundheitssysteme zur Folge.

Die künstliche Bauchspeicheldrüse

In den vergangen 10 Jahren sind in der Entwicklung und klinischen Validierung von Prototypen der künstlichen Bauchspeicheldrüse erhebliche Fortschritte erzielt worden. In Europa sind inzwischen zwei Systeme, das MiniMed 670G und das Diabeloop DBLG1 System, für die Behandlung von Erwachsenen mit Typ 1 Diabetes zugelassen. Klinische Studien haben gezeigt, dass die künstliche Bauchspeicheldrüse auch bei Menschen mit Typ 2 Diabetes Verbesserungen herbeiführen könnte.

Kern der künstlichen Bauchspeicheldrüse ist ein Algorithmus, der durch kontinuierliche Zuckermessung erhaltene Informationen verarbeitet. Daraufhin wird eine am Körper getragene Insulinpumpe angesteuert, um der Patientin oder dem Patienten eine geeignete Dosis Insulin zu infundieren. Eine voll automatisierte künstliche Bauchspeicheldrüse könnte die volle Kontrolle über den Blutzuckerspiegel der Patientin / des Patienten ausüben. Bei der Verwendung sogenannter Hybrid-Systeme wie das MiniMed 670G oder das Diabeloop DBLG1 ist die Dosierung des Mahlzeiteninsulins durch die Patientin oder den Patienten bzw. einer assistierenden Person vorzunehmen – häufig unterstützt durch die Verwendung von Bolusrechnern.

Bedürfnisse und Wünsche von Personen mit Diabetes: Open-source do-it-yourself (DIY) künstliche Bauchspeicheldrüsen

Von Profil in Zusammenarbeit mit dem Wochenmagazin Stern erhobene Befragungsdaten sowie das hohe Engagement von do-it-yourself (DYI) Communities (#WeAreNotWaiting) belegen, dass ein großer Bedarf für technologische Lösungen besteht, die das tägliche Diabetesmanagement erleichtern. In den DIY Communities haben sich enthusiastische, technisch versierte Menschen zusammengefunden. Über selbst geschriebene Algorithmen stellen sie die Kommunikation zwischen einem kontinuierlich messenden Zuckersensor und einer Insulinpumpe her, bauen also eine künstliche Bauchspeicheldrüse.

Konstrukteure und Nutzer solcher künstlichen Bauchspeicheldrüsen à la „do-it-yourself“ berichten über beeindruckende Behandlungsergebnisse im Hinblick auf ihre HbA1c-Werte und die Zeitdauer, innerhalb derer sich ihre Blutzuckerkonzentrationen im Zielkorridor bewegen. Die DYI Communities sind offen für die Zusammenarbeit mit Firmen und Verbänden und in der Regel bereit, ihre Baupläne, Daten und Erkenntnisse mit anderen zu teilen.

Im Blick auf häufig langwierige und komplexe Entwicklungs- und Zulassungsprozesse sowie die hohen Erwartungen der betroffenen Öffentlichkeit an die Verfügbarkeit der künstlichen Bauchspeicheldrüse stellt sich die Frage, ob die künstliche Bauchspeicheldrüse à la „do-it-yourself“ eine Vorreiterrolle bei der Etablierung der künstlichen Bauchspeicheldrüse in der Regelversorgung von Menschen mit Diabetes einnehmen könnte.

Mögliche Probleme mit der Verbreitung von künstlichen Bauchspeicheldrüsen à la "do-it-yourself"

Eine kürzlich von Katharine Barnard und Lutz Heinemann zusammen mit Kolleginnen und Kollegen publiziere Reflexion [1] hat in der Debatte über die Verwendung von künstlichen Bauchspeicheldrüsen à la „do-it-yourself“ einige Aspekte kritisch beleuchtet.

  1. Ärzte / Ärztinnen und medizinisches Personal könnten sich mit einem Dilemma konfrontiert sehen, wenn sie Patientinnen und Patienten die Verwendung einer künstlichen Bauchspeicheldrüse à la „do-it-yourself“ empfehlen. Einerseits möchten sie jede Patientin und jeden Patienten optimal individuell unterstützen. Andererseits ergeben sich Haftungsfragen ähnlich derer, die bei Verschreibung eines Arzneimittels außerhalb der durch die Zulassung abgedeckten Indikation auftreten könnten.
  2. Menschen mit Diabetes sind sehr unterschiedlich geprägt im Hinblick auf den Krankheitsverlauf, die Fähigkeit Verantwortung für ihre Diabetesbehandlung zu übernehmen, sowie ihre Einstellung zu Technik. Bei einer Verwendung der künstlichen Bauchspeicheldrüsen à la „do-it-yourself“ in der Breite stehen allerdings ungünstige Verschiebungen der Kosten-Nutzen und Risiko-Nutzen Balancen zu befürchten. Medizinproduktehersteller würden vermutlich keine Haftung für das Versagen eines von ihnen in Verkehr gebrachten Produkts übernehmen, wenn dieses als Komponente einer künstlichen Bauchspeicheldrüse à la „do-it-yourself“ im Einsatz war.
  3. Wenn eine mit der künstlichen Bauchspeicheldrüse à la „do-it-yourself“ erfahrene Person das System bei einer im Umgang damit weniger versierten Person zur Anwendung empfiehlt, besteht ein hohes Risiko für Missverständnisse z. B. im Hinblick auf Gesundheitsrisiken und die Haftung im Fall möglicher Bedienungsfehler oder Fehlfunktionen. Sowohl ethische als auch rechtliche Fragen stehen hier im Raum.
  4. Entwickler von künstlichen Bauchspeicheldrüse à la „do-it-yourself“ tragen eine hohe Verantwortung für andere Menschen. Während die Algorithmen und Systeme unter Realbedingungen bei ihnen selbst beeindruckende Behandlungsergebnisse erzielen können, ist zugleich klar, dass diese Menschen das DIY System in eigener Verantwortung nutzen. In der breiten Anwendung sind die Sicherheit und Effektivität von künstlichen Bauchspeicheldrüsen à la „do-it-yourself“ weder nachgewiesen, noch können sie à priori angenommen werden.
  5. Krankenversicherer werden vermutlich nicht die Kosten für Medizinprodukte übernehmen, die als Komponente einer künstlichen Bauchspeicheldrüse à la „do-it-yourself“ zur Anwendung kommen. Zudem erscheint es fraglich, ob Krankenversicherer die Kosten für Behandlungen übernehmen, die durch Fehlfunktion eines DIY Systems erforderlich werden können.

Das Beste aus verschiedenen Kulturen: Offene Zusammenarbeit, pflegende Innovationsgemeinschaften

Die künstliche Bauchspeicheldrüse erfüllt eine ganze Reihe von Wünschen und Bedürfnissen, die Menschen mit Diabetes immer wieder äußern. Zugleich gibt es Vorbehalte, Ängste und unrealistische Projektionen. Es ist klar, dass diese über verschiedene Interessengruppen in der Diabetesversorgung hinweg sehr unterschiedlich sind. Daher ist ein offener Innovationsansatz erforderlich, der alle Beteiligten proaktiv einbezieht.

Ein solcher Ansatz wird derzeit in dem von Profil koordinierten CLOSE Projekt realisiert [2]. Offene Zusammenarbeit im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft wie von CLOSE praktiziert verspricht eine breite Akzeptanz der künstlichen Bauchspeicheldrüse für die Behandlung von Menschen mit Diabetes. CLOSE entwickelt die künstliche Bauchspeicheldrüse direkt in Behandlungsszenarien hinein, die eine Verbesserung von Kosten-Nutzen und Kosten-Risiko Balancen im Vergleich zu bestehenden Routinen versprechen. Solch ein inklusiver Ansatz integriert technologische Innovation, Fortbildung und Trainings sowie die Erstellung von Ergebnisprädiktoren und Leistungsindikatoren. Die frühe Zusammenarbeit mit Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern sowie Krankenversicherern und anderen Interessengruppen führt zu Erkenntnissen darüber, wie vielfältig die Wahrnehmung der Diabeteserkrankung und der Diabetesversorgung ist und welche unterschiedlichen Erwartungen auf gegenwärtig verfügbaren und zukünftigen Diabetestechnologien, einschließlich der künstlichen Bauchspeicheldrüse, liegen. Das Aufgreifen provokanter Sichtweisen unternehmerisch denkender Menschen, die Diabetes als ein attraktives Feld für Investitionen in die Entwicklung digitaler Produkte und Dienstleistungen wahrnehmen, hilft dabei, neue Geschäftsmodelle auszuprobieren und die künstliche Bauchspeichedrüse als Übergangstechnologie zu einer weit umfassenderen digitalen Kontrollstrategie in der Diabetesversorgung zu verstehen.

Die Erfahrungen und Fähigkeiten etablierter Medizinprodukteunternehmen erscheinen unverzichtbar, um groß angelegte klinische Studien aufzusetzen, die den Nachweis einer sicheren und effektiven Anwendung der künstlichen Bauchspeicheldrüse in relevanten Patientenpopulationen und deren Versorgungsumgebungen erbringen. Evidenz aus solchen Studien untermauert den Anspruch auf Erstattung der künstlichen Bauchspeicheldrüse durch die Krankenkassen. Die Erfüllung aller regulatorischen Voraussetzungen und die Erteilung einer Marktzulassung durch die zuständigen Behörden sind Voraussetzung für eine breite und ethisch vertretbare Inverkehrbringung der künstlichen Bauchspeicheldrüse, bei der alle Interessengruppen, insbesondere die Menschen mit Diabetes, nur gewinnen können.